BGH Urteil vom 05.11.2014, IV ZR 104/14: Testamentsvollstrecker; Verwaltungsbefugnis; Pflichtteilsanspruch

Worum geht es ?

Der Kläger begehrt als Testamentsvollstrecker über den Nachlass des Erblassers von den Beklagten Pflichtteilsansprüche. Der Erblasser hatte ein handschriftliches Testament errichtet, in welchem er Testamentsvollstreckung anordnete. Der Testamentsvollstrecker macht gegen die Beklagte den Pflichtteilsanspruch des Erblassers nach seiner Mutter geltend. Die Beklagte beruft sich darauf, ein Testamentsvollstrecker sei hierzu nicht befugt. Ferner habe der Erblasser noch zu Lebzeiten auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs verzichtet.

Der BGH setzt sich mit der Frage auseinander, ob der Testamentsvollstrecker einen in den Nachlass fallenden Pflichtteilsanspruch auch ohne oder gegen den Willen des pflichtteilsberechtigten Erben gegen einen (anderen) Erben geltend machen kann.

Der Leitsatz des Gerichts:

Der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers unterliegt – vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung durch den Erblasser – auch ein in den Nachlass fallender Pflichtteilsanspruch.

Die Entscheidung des Gerichts:

Der dem Erblasser zustehende Pflichtteilsanspruch nach dem Tod seiner Mutter unterliegt der Verwaltung der Testamentsvollstreckerin.

a) Gemäß § 2212 BGB kann ein der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegendes Recht nur von dem Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden. Der Testamentsvollstrecker hat nach § 2205 Satz 1 BGB den Nachlass zu verwalten. Hierunter fällt der gesamte Nachlass des Erblassers. Gemäß § 2208 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Testamentsvollstrecker die in den §§ 2203 bis 2206 BGB bestimmten Rechte nicht, soweit anzunehmen ist, dass sie ihm nach dem Willen des Erblassers nicht zustehen sollen. Eine derartige Beschränkung der Verwaltungsbefugnis hat der Erblasser in seinem Testament, in dem ohne weitere Einschränkung Testamentsvollstreckung angeordnet wurde, nicht vorgenommen. Der Pflichtteilsanspruch wird in dem Testament nicht erwähnt.

b) Nicht von der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers umfasst werden höchstpersönliche Rechte, die mangels Vererblichkeit bereits nicht in den Nachlass fallen. Hierzu gehört der Pflichtteilsanspruch nicht. Dieser ist nach der ausdrücklichen Regelung in § 2317 Abs. 2 BGB vererblich und übertragbar. Der Pflichtteilsanspruch stellt auch keinen sonstigen Vermögensbestandteil dar, der zwar in den Nachlass fällt, infolge seiner Rechtsnatur aber nur von dem Erben und nicht von dem Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden kann. Derartige nicht unter die Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers fallende Rechtspositionen stellen etwa der Anteil der Miterben am Nachlass als solchem, die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft oder die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung dar.

Um eine vergleichbare Fallgestaltung geht es bei dem Pflichtteilsanspruch nicht. Er entspringt zwar einer engen familiären Beziehung zwischen dem Berechtigten und dem Erblasser. Es unterliegt daher grundsätzlich der freien Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten, ob er einen ihm zustehenden Pflichtteil verlangen will oder nicht. Dies ändert aber nichts daran, dass der Pflichtteilsanspruch eine bloße Geldforderung im Sinne eines Geldsummenanspruchs ist. Es handelt sich nicht um ein derart mit der Person des Pflichtteilsberechtigten verbundenes persönliches Recht, welches nach dessen Tod lediglich von seinen Erben und nicht vom Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden könnte. So hat der Senat bereits entschieden, der Testamentsvollstrecker könne nur über die Miterbenanteile an dem Nachlass, der seiner Verwaltung unterliegt, nicht verfügen. Für den Erbteil an einem anderen Nachlass, der bereits dem Erblasser zugestanden hatte und der deshalb als Nachlassgegenstand zu dem vom Testamentsvollstrecker verwalteten Nachlass gehört, gilt dies dagegen nicht. Wenn schon der Erbteil an einem anderen Nachlass in die Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers fällt, gilt dies erst recht für einen lediglich auf Geldzahlung gerichteten Pflichtteilsanspruch.

Hierdurch wird auch nicht die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigt, ob er einen ihm zustehenden Pflichtteil verlangen will oder nicht. Hierüber kann er zu Lebzeiten frei entscheiden. Er kann den Pflichtteilsanspruch geltend machen, vor dem Tod des Erblassers mit diesem einen Verzicht vereinbaren oder nach dem Tod des Erblassers mit den Erben einen Erlassvertrag schließen. Ferner hat er die Möglichkeit, für den Fall seines Todes die Testamentsvollstreckung zu beschränken und hiervon Pflichtteilsansprüche auszunehmen. Macht er von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch, so fällt der Pflichtteilsanspruch in die Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers. Dieser hat den Anspruch sodann infolge seiner Stellung als Treuhänder und Inhaber eines privaten Amtes, nicht dagegen als Vertreter des Erblassers oder der Erben, geltend zu machen und gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen.

c) Nichts anderes ergibt sich auch aus der Systematik des Gesetzes.

aa) …

bb) Aus einem Vergleich mit insolvenzrechtlichen Regelungen ergibt sich ebenfalls nicht, dass der Pflichtteilsanspruch nicht von dem Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden könnte. Ist der Pflichtteilsanspruch vor Eröffnung oder während des Insolvenzverfahrens entstanden, so gehört er zur Insolvenzmasse. Aufschiebend bedingt ist lediglich die zwangsweise Verwertbarkeit. Diese Wirkung tritt erst mit der vertraglichen Anerkennung des Anspruchs oder mit Rechtshängigkeit ein. Die beschränkte Pfändbarkeit des Pflichtteilsanspruchs soll vermeiden, dass der Anspruch gegen den Willen des Berechtigten geltend gemacht wird. Die Entscheidung darüber, ob der Anspruch gegenüber den Erben durchgesetzt wird, soll mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem allein diesem überlassen bleiben.

Auch bei diesen insolvenzrechtlichen Regelungen geht es allein darum, die Entscheidungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten, ob er den Anspruch geltend macht oder nicht, gegenüber außenstehenden Gläubigern zu sichern. Eine derartige Fallkonstellation besteht hier nach dem Tod des pflichtteilsberechtigten Erblassers nicht mehr.

cc) Aus weiteren gesetzlichen Regelungen lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass der Pflichtteilsanspruch in einer solchen Weise höchstpersönlich ausgestaltet wäre, dass er vom Testamentsvollstrecker nicht geltend gemacht werden könnte. Im Gegenteil bestimmt § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB XII hinsichtlich der Überleitung von Ansprüchen auf den Sozialhilfeträger, der Übergang werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden könne. Dieser Pflichtteilsanspruch kann, wenn er auf den Sozialhilfeträger übergeleitet worden ist, mithin von diesem ohne weiteres geltend gemacht werden, ohne dass es insoweit auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankäme.

Schließlich kann es einem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten familienrechtlich zuzumuten sein, einen Pflichtteilsanspruch als fälligen Zahlungsanspruch vorab zur Sicherung seines Unterhalts einzusetzen.