Einsicht des Pflichtteilsberechtigten in die Betreuungsakte

Worum geht es?

Der Pflichtteilsberechtigte ist nach dem Tod des Erblassers auf die Auskunft des Erben zum Nachlassvermögen angewiesen, um die Höhe seiner Ansprüche berechnen zu können. Daneben erhält der Pflichtteilsberechtigte in der Regel Einsicht in die Nachlassakten und die Grundbuchakten, soweit der Erblasser Eigentümer einer Immobilie war. Dies dient der weiteren Informationsgewinnung für den Pflichtteilsberechtigten, um seine Ansprüche vernünftig berechnen zu können.

Das Landgericht Mainz hatte sich in dem Beschluss vom  23.02.2017 – 8 T 25/17 mit der Frage zu befassen, ob ein Pflichtteilsberechtigter auch in die Akten des Betreuungsgerichts Einsicht nehmen kann, um auf diesem Weg weitere Informationen zum vorhandenen Nachlass, aber auch zum lebzeitigen Vermögen, gewinnen zu können. Dies ist insbesondere deshalb von erheblichen Interesse für den Pflichtteilsberechtigten, da der Betreuer dem Betreuungsgericht bereits während der Betreung umfassend Auskunft und Rechenschaft zum Vermögen des Betreuten (Berichte) schuldet.

Die Entscheidung des Gerichts:

Einem Pflichtteilsberechtigten steht ein Einsichtsrecht in die Betreuungsakten des Erblassers zu, da ein berechtigtes Interesse daran besteht, sich Kenntnis vom Umfang des Nachlasses und damit von der Höhe etwaiger Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche zu verschaffen. Ein dieses berechtigte Interesse an der Akteneinsicht übersteigendes schutzwertes Interesse des Betroffenen und des ehemaligen Betreuers an der Geheimhaltung von Aktenbestandteilen ist nicht zu erkennen.

Entscheidungsgründe:

…Nach § 13 Abs. 2 FamFG kann Personen, die an dem Verfahren nicht beteiligt sind, Einsicht in die Betreuungsakten gestattet werden, soweit sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und schutzwürdige Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten nicht entgegenstehen. Der Begriff des berechtigten Interesses ist in § 13 FamFG nicht näher bestimmt. Er lässt sich aber daraus ableiten, dass das Gesetz allgemein zwischen subjektiven Rechten (§ 59 Abs. 1 FamFG), rechtlichen Interessen (§§ 357 FamFG, 299 Abs. 2 ZPO, 62 PStG) und berechtigten Interessen (§§ 13 Abs. 2 FamFG, 121 GBO) unterscheidet. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist dabei weiter als der des subjektiven Rechts, aber enger als derjenige des berechtigten Interesses. Ein rechtliches Interesse, das sich auf ein bereits vorhandenes Recht stützen muss, ist dann gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis vom Akteninhalt zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist. Das berechtigte Interesse muss sich dagegen nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen. Es genügt vielmehr jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, das auch wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann. Es ist insbesondere dann gegeben, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Aktenkenntnis beeinflusst- sein kann, wobei das Interesse grds. nicht durch den Verfahrensgegenstand begrenzt wird (vgl. zu allem Vorstehenden OLG Stuttgart, FGPrax 2011, 263 [263] [OLG Stuttgart 27.06.2011 – 8 W 212/11], m.w.N.).

Ein derartiges Interesse der Antragsteller an einer Einsicht ist vorliegend zu bejahen. Denn die Antragsteller haben als Pflichtteilsberechtigte ein berechtigtes Interesse daran, sich Kenntnis vom Umfang des Nachlasses und damit von der Höhe ihrer etwaigen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche zu verschaffen, weil dies ihr Vorgehen gegen die Erbin und Pflichtteilsschuldnerin beeinflussen kann. Zur Informationsbeschaffung kann – neben anderen Erkenntnisquellen – auch die im Rahmen des Betreuungsverfahrens gefertigten Berichte der Betreuerin sowie etwaige Immobilienkaufverträge dienen.

Dass diese Aktenbestandteile mit einer anderen Zweckrichtung zu den Gerichtsakten gelangt sind, steht einem berechtigten Interesse des Pflichtteilsberechtigten nicht entgegen (vgl. OLG Jena, NJW-RR 2012, 139 [139] [OLG Jena 09.08.2011 – 6 W 206/11], m.w.N.). Gleiches gilt sowohl für den der Erbin gegenüber bestehenden Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB als auch für einen etwaigen Anspruch auf Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung gem. § 260 Abs. 2 BGB. Das berechtigte Interesse wird nämlich grds. nicht dadurch ausgeschlossen, dass die betreffenden Informationen auch auf andere Weise beschafft werden können (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 381 [382] [BGH 21.09.1993 – X ZB 31/92]; OLG Jena, a.a.O. [140], m.w.N.). Dies gilt vorliegend umso mehr, als die hier in Rede stehende Akteneinsicht gerade dazu dienen kann und soll, die Richtigkeit und Vollständigkeit der in Erfüllung des aus § 2314 BGB resultierenden Anspruchs erstatteten Auskunft zu überprüfen.

Schließlich ist ein das berechtigte Interesse der Antragsteller an der in Rede stehenden Akteneinsicht übersteigendes schutzwertes Interesse des Betroffenen und der ehemaligen Betreuerin an der Geheimhaltung nicht zu erkennen. Die ehemalige Betreuerin – zugleich die alleinige Erbin des Betroffenen – ist vom AG angehört worden. Sie hat dem hier zur Entscheidung stehenden Akteneinsichtsgesuch widersprochen, ohne nachvollziehbare Gründe für eine Geheimhaltung der betreffenden Aktenbestandteile vorzubringen. Sie hat vielmehr im Wesentlichen – sinngemäß – lediglich das Fehlen eines berechtigten Interesses der Antragsteller eingewandt….